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Sascha Ruefer morgens um 2 Uhr

Roman
Michel
20.09.18 - 16:31 Uhr

Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

Roman Michel* über den neuen TV-Dschungel in der Champions League

Kurz nach 2 Uhr schreit Sascha Ruefer, was das Zeug hält: «Toooooor. Sturridge macht es.» In der 91. Minute fällt der Liverpooler Siegtreffer gegen Paris 
St. Germain. 2.15 Uhr zeigt der Wecker an. Wobei: Eigentlich fiel das Tor ja schon rund drei Stunden früher. Kurz vor 23.00 Uhr. Nur ging das am Schweizer Fussballfan vor dem TV völlig vorbei. 

«Re-live» – so war der Knaller zum Auftakt der Champions League zwischen dem englischen Traditionsklub und dem französischen Serienmeister zu sehen. Alles in voller Länge. Alles durchkommentiert. Und eben doch verspätet. Weil das SRF die Rechte für die Königsklasse nicht mehr erwerben konnte, ist der Schweizer Fussballfan im TV-Chaos gefangen. Dienstags gibt es Champions League nur noch gegen Bezahlung auf Teleclub. Erst ab Mitternacht sind die Highlights aller Partien auch im Service Public zu sehen. Nicht früher – so ist es im Vertrag geregelt. Pünktlich um 0.00 Uhr geht es los. Eine halbe Stunde lang Action und Traumtore. Und zum Schluss heisst es: «Wer noch nicht genug hat, jetzt gleich: Liverpool gegen Paris, in voller Länge. Wach bleiben lohnt sich.» 

Anders sieht es am Mittwoch aus. Ein Spiel pro Runde darf das SRF übertragen. Ein schwacher Trost für die Schweizer Fans. Denn: Die Hälfte aller YB-Spiele findet am Dienstag statt. Und ist somit dem exklusiven Teleclub-Zirkel vorenthalten. Gestern ging noch alles gut. Die Berner Premiere auf der höchsten europäischen Bühne liess sich wie gewohnt im frei empfangbaren Fernsehen verfolgen. Das Horrorszenario trifft aber schon in zwei Wochen ein: YB spielt auswärts gegen Juventus Turin. Hoarau gegen Ronaldo, Khedira gegen Sow. Und der Schweizer 
TV-Normalo muss sich bis nach Mitternacht gedulden, bis er die Tore zu sehen bekommt. Man stelle sich das vor.    

Vorbei die Zeiten, in denen man am Dienstag- und Mittwochabend ohne gross zu überlegen auf dem Sofa mit Messi, Ronaldo und Co. mitfiebern konnte. Vorbei die Zeiten, in denen man kurz vor 20.45 Uhr vor dem Fernseher die mystische Hymne der Champions League mitsummte. Vorbei auch die Zeiten, in denen man als kleines Kind zwei Tage am Stück etwas länger wach bleiben durfte. Mindestens drei Jahre lang gibt es die Königsklasse nur noch gegen Bares.  
Die Verlagerung der Partien ins Pay-TV bringt primär eines: einen Haufen Kohle für die Uefa – und die Klubs. Knapp 1,3 Milliarden Euro schüttet der Europäische Fussballverband an Prämien aus. Geld, das zwar wieder in den Fussball fliesst – und doch ist genau dieser der Verlierer. Er entfernt sich mehr und mehr vom Fan. Er ist längst zu einem Premiumprodukt geworden. Zu einem Luxusgut, das sich nicht jeder leisten kann oder will. Dabei werden Fifa und Uefa nicht müde zu betonen, wie völkerverbindend der Sport doch sei. 

Vielleicht hat die Bezahlschranke aber auch ihren positiven Effekt: Als Alternative zum egoistischen Fussballabend vor dem eigenen TV bleibt ab sofort nur noch der Gang in die Sportbar um die Ecke. Zusammen zittern, zusammen jubeln, zusammen Hymne summen macht auch Spass. Wenn man es nicht übertreibt, ist sogar das Biertrinken günstiger als ein TV-Abo. Und sogar wer einen entscheidenden Moment im ganzen Bartrubel verpasst hat, kann gut gelaunt nach Hause: Die Szene gibt es ja nochmals zu sehen. Morgens um 2 Uhr. Mit Sascha Ruefer.   

*Roman Michel ist Sportredaktor 

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