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Sandra Locher Benguerel: «Retuschierte Bilder gehören gekennzeichnet»

In Norwegen gibt es das Gesetz bereits: Bearbeitete Bilder müssen als solche ausgewiesen werden. Dies gibt SP-Nationalrätin Sandra Locher Benguerel Anlass, dem Bundesrat Fragen zu stellen.

Südostschweiz
24.09.22 - 11:00 Uhr
Leben & Freizeit
Wartet mit kritischen Fragen auf: Nationalrätin Sandra Locher Benguerel fordert, dass bearbeitete Bilder immer als solche gekennzeichnet werden müssen.
Wartet mit kritischen Fragen auf: Nationalrätin Sandra Locher Benguerel fordert, dass bearbeitete Bilder immer als solche gekennzeichnet werden müssen.
Bild Livia Mauerhofer

von Mara Schlumpf und Jessica Müller

Sie sind für mehr Realität in der Social-Media-Welt und haben deswegen einen Vorstoss lanciert, welcher fordert, dass retuschierte Bilder als solche gekennzeichnet werden. Was hat Sie dazu bewogen?

Sandra Locher Benguerel: Ich arbeite als Lehrerin regelmässig mit Kindern und Jugendlichen. Beruflich aber auch privat erlebe ich immer wieder, dass Werbebilder und auch Bilder in den sozialen Medien einen sehr grossen Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben. Und wenn man bedenkt, wie oft und wie lange die Kinder diesen Bildern ausgesetzt sind, dann ist es wahrscheinlich, dass diese idealisierten Körperbilder Selbstzweifel bei den jungen Menschen auslösen.

Sie sind Primarlehrerin und haben tagtäglich mit jungen Menschen zu tun. Wie äussert sich der negative Einfluss dieser Bilder auf Kinder und Jugendliche?

Ich sehe auch privat – und übrigens nicht nur bei Jugendlichen, sondern durchaus auch bei Erwachsenen – dass idealisierte Körperbilder einen Druck ausüben hinsichtlich der Vorstellung, wie eine Figur oder ein Gesicht auszusehen haben. Dies führt schlicht zu einem falschen Abbild der Realität. Mit der Idee, dass bearbeitete Bilder gekennzeichnet werden müssen, könnten wir Fake-Bilder verhindern und für mehr Wirklichkeit in der Werbewelt sorgen. 

Haben Sie bereits Erfahrungen gemacht, dass Menschen in Ihrem Umfeld deswegen psychische Probleme entwickelt haben wie Depressionen oder Essstörungen? Waren Schönheitsoperationen in Ihrem Umfeld ein Thema?

Als Pädagogin und Bildungspolitikerin kenne ich verschiedene Studien, welche zeigen, dass ein ungesundes Körperempfinden zu psychischen Problemen führen kann, besonders bei jungen Frauen. Natürlich auch zu Essstörungen. Das wurde in der Vergangenheit bereits mehrmals bewiesen.

Sie haben junge Frauen angesprochen. Sind denn hauptsächlich Frauen von diesem Problem betroffen?

Das kann ich so nicht beantworten. Es gibt aber bestimmt Studien, welche diese Frage beantworten können. Aus meiner Erfahrung kann ich aber sagen, dass auch junge Männer stark auf dieses Thema ansprechen.

In Norwegen müssen bearbeitete Bilder entsprechend gekennzeichnet werden. Ihr Vorschlag wäre also, dieses Gesetz auch in der Schweiz einzuführen? Oder nur für Influencer?

Ich stelle dem Bundesrat Fragen. Diese neue Regelung in Norwegen ist mir seit Sommer bekannt. In der Schweiz besteht diesbezüglich dringender Handlungsbedarf, weshalb ich in Erfahrung bringen will, wie es hierzulande gehandhabt wird. Es geht mir um Werbeaufnahmen generell – also um Aufnahmen in den klassischen Medien wie Zeitungen oder Plakatwänden, aber auch um Werbebilder in den sozialen Medien. Der Bundesrat wird die Frage stellen, was die Schweiz bereits macht, um die Jugendlichen vor idealisierten Bildern zu schützen, und wie er die Regelung in Norwegen beurteilt. Sinnvoll wäre natürlich, diese Diskussion nicht in jedem Land einzeln zu führen. Eine gemeinsame Regelung wäre ein erstrebenswertes Fernziel.

Es reicht also nicht, dieses Gesetz nur in der Schweiz zu erlassen?

Nein. Wir haben die ideale Situation, dass Norwegen seit Juli mit gutem Beispiel vorangeht. Basierend auf den Erfahrungen Norwegens könnte man eine europäische Regelung finden. Ich denke, das wäre das Richtige. Die sozialen Medien kennen schliesslich auch keine Landesgrenzen. 

Aber weshalb ist ein solches Gesetz überhaupt notwendig? Eigentlich sollte doch jeder Mensch retuschierte von unbearbeiteten Bildern unterscheiden können.

Das ist eben das Problem. Die Jugendlichen werden mit Tausenden von bearbeiteten Bildern konfrontiert. Bei dieser Bilderflut wird es schwierig, vielleicht auch unbewusst reale von retuschierten Bildern zu unterscheiden. Diese speichern sich dann im Gehirn ab und man strebt ihnen unbewusst nach. Vor dieser Entwicklung müssen Kinder und Jugendliche geschützt werden.

Ist dies überhaupt umsetzbar?

Das muss der Bundesrat beantworten. Natürlich ergeben sich dadurch Fragen. Zum Beispiel, ob und wie dies überhaupt kontrolliert werden kann. Mit meinem Vorstoss will ich eine entsprechende Diskussion anregen. Es wird noch einige Überlegungen brauchen.

Wie schätzen Sie ihre Chancen bei diesem Vorstoss ein? 

Als sehr gut. Wenn ich mit meinen Ratskolleginnen und Ratskollegen diskutiere, stelle ich fest, dass dies durchaus ein Thema ist, zu dem sehr viele Menschen einen Bezug haben. Es braucht nicht wirklich Überzeugungsarbeit. Die Herausforderung wird es sein, den passenden Weg zu definieren, wie die Schweiz hier am besten vorgehen muss.

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