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Flattert Apollo definitiv davon?

Den Apollo findet Andreas Erhardt zuverlässig nur noch an einer einzigen Stelle in Davos. Vor hundert Jahren hatte Johann Hauri noch fünf Vorkommen beschrieben.

Barbara
Gassler
13.08.22 - 07:04 Uhr
Leben & Freizeit

Genau diese Differenzen aufarbeiten will der emeritierte Professor an der Uni Basel. Dazu kommt er schon seit Jahren regelmässig nach Davos. Dabei vergleicht er seine Beobachtungen mit den Fundmeldungen, die Dorfpfarrer Hauri 1918 in einer Publikation der Naturforschenden Gesellschaft Davos mit Titel «die Grossschmetterlinge von Davos» aufgelistet hatte. «Fünf dieser Arten kann ich inzwischen nicht mehr finden», stellt Erhardt fest. Das sei noch nicht dramatisch, sagt er, besorgt ist er dennoch. Denn die gleichen Faktoren, die anderenorts zum Verschwinden der Schmetterlinge führten, greifen auch hier. Zum einen ist es die Landwirtschaft. «Ihre Auswirkungen sind gleich zweifach. Einerseits durch die Intensivierung der Bewirtschaftung, andererseits durch die Aufgabe genau dieser.» Denn es verschwanden die kleinräumigen Strukturen mit den zeitlich gestaffelten Nutzungszeiten. «Die Landwirtschaft schuf früher unbeabsichtigt ideale Lebensbedingungen für eine Vielzahl von Schmetterlingen und anderer Insekten.» Ein weiterer Punkt ist die natürliche Verbu-schung und die vom Menschen geförderte Bewaldung. «Darum bin ich eigentlich glücklich über den Felssturz am Seehorn. Er gibt vielen Offen-Land-Arten wieder eine Chance.» Dann ist da die Bebauung des Tales – «Ein von Hauri beschriebenes Vorkommen des Apollo am Platz ist inzwischen überbaut.» – und nicht zuletzt der Klimawandel. «Gewisse Arten können vor der zunehmenden Wärme vorläufig noch in die Höhe ausweichen.» Als Beispiel nennt Erhardt den Alpen-Apollo, den er inzwischen gut 500 Meter höher vorfindet, als von Hauri beschrieben. Umgekehrt nennt der Schmetterlingskundler Arten, die hier früher nicht oder kaum anzutreffen waren. «Der Schachbrettfalter und das Waldbrettspiel sind Beispiele.»

Andreas Erhardt macht eine Bestandesaufnahme der Schmetterlinge hier.
Andreas Erhardt macht eine Bestandesaufnahme der Schmetterlinge hier.
bg

Der schwer fassbare Gletscherbär

Derweil sucht Erhardt weiter. Der in Davos vorkommende Gletscherbär konnte er an den von Hauri beschriebenen Orten bisher nur teilweise finden. Diese zu den Nachtfaltern gehörende, aber tagaktive Spinner-Art kommt nur in den höchsten Lagen auf Alpweiden und Geröllfeldern vor. Um sie nachzuweisen, sucht Erhardt nach den Raupen. «Fünf Tiere in fünf Stunden», berichtet er von seiner letzten Expedition. Mit diesen Tieren will er züchten, um schliesslich genügend Weibchen zu haben, die mit ihren Duftstoffen die Männchen anlocken. «Mit dieser Methode kann mit einiger Sicherheit gesagt werden, ob eine Population noch existiert oder nicht.»

Seine berufliche Laufbahn begann Erhardt einst als Botaniker. Doch Schmetterlinge hatten ihn schon als Kind fasziniert. So konzentrierte er sich später als Forscher auf die Interaktion zwischen Blütenpflanzen und Bestäubern und konnte er seine botanischen und entomologischen Interessen gleichzeitig verfolgen. Mit der Untersuchung der Davoser Schmetterlinge kommt er nun zurück zu den Wurzeln. Denn als Teenager war er ein erstes Mal mit Hauris Arbeit in Kontakt gekommen. Seit seiner Pensionierung 2016 widmet er sich nun intensiv der Vergleichsstudie und verbringt während der grünen Saison bis zu acht Wochen hier. «Anders ist es gar nicht zu schaffen. Denn man muss so viele Stunden zum richtigen Zeitpunkt im Gelände verbringen.» Dennoch: Ziel der langjährigen Arbeit sind drei wissenschaftliche Publikationen. Zum einen will er die Grundlage legen für einen weiteren Vergleich in hundert Jahren. «Auch wenn einige Arten zugenommen haben, in der Summe hat es deutlich weniger dieser Insekten.» Zum anderen untersucht er die Gründe für das Verschwinden der Schmetterlinge. «Ich will die einzelnen Faktoren den Arten zuordnen. Doch das ist schwierig, denn oft überschneiden sie sich.»

Verbesserung ja, Nachbessern nötig

Mit seiner Arbeit will er auch zum Schutz der Schmetterlinge beitragen. «Ich stelle Verbesserungen fest, doch es reicht noch nicht.» So beobachtet er, dass viele Arten inzwischen nur noch an einzelnen Standorten vorkommen würden. «Eine einzige Veränderung der Umweltbedingungen, und die ganze Population erlischt.» Auf das Funktionieren des ganzen Ökosystems hat das keine Auswirkung, doch: «Allein dadurch, dass wir Menschen diese Vielfalt nicht gemacht haben und es auch nie werden können, leitet sich ihr Existenzrecht ab.» Deshalb ist für Erhardt der Schmetterlingsschutz in der Landschaft Davos ein wichtiges Anliegen. «Oft braucht es nur kleine Massnahmen», sagt er. «Wenn ich sehe, welcher Aufwand für die Instandhaltung zum Beispiel der Berg­wege geleistet wird, sind sie fast vernachlässigbar.»

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