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Als das WEF noch kurze Hosen trug

Zum 51. Mal trifft sich am kommenden WEF-Jahrestreffen die globale Wirtschaftselite in Davos. Eine, die noch ganz am Anfang mitwirkte, ist die Übersetzerin Marcellina Defuns.

Barbara
Gassler
15.01.23 - 16:49 Uhr
Leben & Freizeit
Marcellina Defuns schaut sich alte Fotos an.
Marcellina Defuns schaut sich alte Fotos an.
bg

«In Brugg arbeitete ich Ende der Sechziger Jahre mit einer Hilde Stoll bei der ‹Confederation European de l’Agriculture› zusammen», erzählt sie. Dann hätten sich ihre Wege getrennt. Hilde Stoll nahm eine Stelle am «Centre d’Etude Industrielle» in Genf an, wo ein gewisser Professor Klaus Schwab tätig war. Defuns verblieb vorläufig in Brugg. Im Dezember 1970 erhielt sie dann einen Hilferuf der ehemaligen Arbeitskollegin. «Sie sei dabei, das Davoser Kongresshaus für ein ‹European Management Symposium› (EMS) vorzubereiten, und fragte, ob ich ihr dabei helfen könne», erzählt Defuns. Während eines Wochenendes habe ein Team, zu dem auch Klaus Schwab gehörte, das Kongresshaus eingerichtet und dabei im Hotel Pöstli logiert. An der ersten Durchführung war Defuns dann aber nicht mehr beteiligt. Vom 24. Januar bis 7. Februar 1971 kamen 450 Teilnehmer und 50 Referenten aus 31 Ländern zusammen, um über «die Herausforderungen der Zukunft» und «Unternehmensstrategien und -strukturen» zu diskutieren. Die Konferenz, die von Schwab auf eigene Rechnung organisiert worden war, generierte einen Gewinn von 25 000 Franken, die dieser unmittelbar im Anschluss in eine in Chur gegründete Stiftung «European Management Forum» investierte. Die Teilnehmer ihrerseits verlangten eine Fortsetzung des Symposiums, und vom 22. Januar bis 1. Februar 1972 fand das zweite EMS statt, zu dem wiederum nur geladene Gäste zugelassen waren.

Zusammenkommen bei fröhlichen Spiel, wie auf diesem Bild von 1989, war von Anfang an Teil des Erfolgskonzept. 
Zusammenkommen bei fröhlichen Spiel, wie auf diesem Bild von 1989, war von Anfang an Teil des Erfolgskonzept. 
Archiv DZ

Im Januar 1975, es nahmen inzwischen 860 Teilnehmer am Symposium teil, gab es bereits eine Zusammenarbeit mit der «United Nations Industrial Development Organization», deren Ziel die industrielle Förderung von Entwicklungs- und Schwellenländern war. Hier kam Marcellina Defuns wieder ins Spiel. Die Churerin war inzwischen mit ihrem Ehemann Marcus nach Davos gezogen und arbeitete in dessen Anwalts-und Notariatskanzlei. «Hilde Stoll, inzwischen Schwab und Mutter ihres ersten Kindes, rief mich erneut an und bat mich um Mithilfe.» Dieses Mal in ihrem Beruf als Übersetzerin allerdings. «Damals sprachen noch nicht alle fast selbstverständlich Englisch, und meine Dienste waren nur allzu willkommen», erzählt Defuns. So übersetzte die Sprachgewandte von Deutsch auf Französisch, von Italienisch auf Englisch und alles dazwischen. Bei allen Gelegenheiten. «Wir waren beim Essen am Abend dabei, genau so wie bei Spiel und Spass im Schnee. Da herrschte oft ein babylonisches Sprachgewirr.» Bei solchen Gelegenheiten seien auch immer wieder millionenschwere Verträge abgeschlossen worden, erinnert sie sich.

In Sportkluft zur Sitzung

Doch auch die sportlichen Aktivitäten ausserhalb des Kongresshauses waren von Anfang an ein wichtiger Teil des Symposiums. Gründer Klaus Schwab habe damit die Manager aus den Grossstädten in einem freundschaftlichen Rahmen zusammenbringen wollen, erinnert sich Defuns. Dementsprechend warteten Leute wie Andy Hofmänner mit seinen Langlaufskiern am Mittag jeweils direkt vor dem Eingang. Oft seien die Manager auch bereits in Sportkleidung zum Symposium erschienen. An Olivier Giscard d’Estaing, Gründer des «Institut Européen d'Administration des Affaires» (INSEAD), eine der weltweit besten Schulen für Management, erinnert sie sich besonders: «Der kam mit einem knöchellangen Fuchspelzmantel, unter dem die roten Langlaufsocken zu erkennen waren.» Der Samstag war jeweils sogar ganz für den Sport reserviert, und die Symposiumsverantwortlichen hatten es fertiggebracht, dass ihre Teilnehmer an der Talstation der Parsennbahn unter Umgehung der damals noch üblichen, langen Schlangen eingelassen wurden. «Das erzeugte jeweils einigen Unmut unter den Wartenden», erinnert sich Defuns. Für Nicht-Skifahrer wurde auf Bünda alternativ ein Spiel- und Spassprogramm organisiert.

Schon früh, auch dieses Bild stammt von 1989, war die Teilnehmerschar divers.Z
Schon früh, auch dieses Bild stammt von 1989, war die Teilnehmerschar divers.Z
Archiv DZ

Eintreten bei grün

Im Kongress wurde dagegen hart gearbeitet. So wurden 1975 im Foyer zum ersten Mal Kabinen aufgestellt, in denen Investoren und Kapitalsuchende miteinander ins Gespräch kommen sollten. In diesen «Beichtstühlen», wie die Kabinen unter den Mitarbeitenden bald hiessen, vermittelte Defuns sprachlich. «Draussen hatte es eine Ampel. Rot hiess besetzt, grün bedeutete, dass man eintreten konnte.» In der Zeit dazwischen gab es Gelegenheit für Zweiergespräche zwischen der Übersetzerin und ihrem Klienten. «Zum Beispiel habe ich so ganz viel über Nigeria gelernt. Obwohl ich nie in dem westafrikanischen Land war.» Investoren für die Produktion von Zuckerrohr habe dieser Teilnehmer am EMS gesucht, erinnert sie sich noch.

Bei so einer Konferenz wird natürlich auch ganz viel Papier produziert. Texte, die abends und des nachts in alle möglichen Sprachen übersetzt werden mussten, damit sie am Morgen in die Briefkästen der Symposiumsteilnehmer verteilt werden konnten. «Das waren die anstrengensten Momente», erzählt Defuns. «Klaus Schwab wusste das auch und sorgte mit Mitternachts-Champagner-Buffets dafür, dass wir motiviert blieben.»

1978 hielt der Computer im Symposiumsbüro Einzug, und Defuns Aufgaben veränderten sich. «Zum einen wurden wir mehr und mehr für Hostessendienste eingesetzt, andererseits hatte ich im Rechtsanwaltsbüro meines Mannes sehr viel zu tun.» Papiere tragen und die Leute herumführen waren nicht so wirklich Defuns Ding. So quittierte sie den Dienst beim European Management Forum noch bevor dieses 1987 zum World Economic Forum wurde.

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