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«Es gab nur einen Nachttopf»

Die Casa Tomé im Dorfkern von Poschiavo ist ein seltenes Zeugnis einer bäuerlichen Kultur und eines Lebensstils, die nunmehr überholt sind. Ihre Ursprünge reichen bis ins Mittelalter zurück. Dennoch wurde das Haus bis vor rund 30 Jahren von einer seltsamen Familie bewohnt, die unter mittelalterlichen Verhältnissen darin lebte.

03.08.18 - 14:37 Uhr
Leben & Freizeit
Über 650 Jahre alt: die Casa Tomé in Poschiavo.
Über 650 Jahre alt: die Casa Tomé in Poschiavo.
GIAN-ANDRI CARL

Auf der Via di Puntunai (die Gasse vor der Casa Tomé) ist die Geschichte weitergegangen: Autos und Motorräder passieren die schmale Strasse. Mit einem Schritt durch die Türe der Casa Tomé macht man eine Reise in eine Welt, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Das Haus ist mit einem stattlichen Alter von 650 Jahren eines der ältesten bäuerlichen Häuser im ganzen Alpenraum. Nicht nur das Alter macht sie zu einem Unikat, sondern auch der Zustand der Casa Tomé: Weitgehend ist sie nämlich in ihrer Ursprungsform erhalten geblieben. In der RSO-Sommerserie tauchen wir ein in eine Welt, in der so manches, was heute als normal betrachtet wird, noch keineswegs selbstverständlich war.

Teil 1: Gian-Andri Carl lässt sich durch die Casa Tomé führen.
Der Innenhof der Casa Tomé.
Der Innenhof der Casa Tomé.

Das Eindrückliche: Bis ins Jahr 1990 lebte darin die Familie Tomé. Und dies unter ärmlichen und mittelalterlichen Verhältnissen. Der Vater von vier Töchtern, Domenico Tomé, war Gemeindeaufseher: eine schlecht bezahlte Arbeit, mit der er lediglich 200 Franken im Jahr verdiente. Deshalb hielt er nebst seiner Funktion als Aufseher zusätzlich noch Tiere und bearbeitete etwas Land. Nach seinem Tod im Jahr 1837 pflegte die Mutter mit den vier Töchtern einen strengen Umgang, sie wies sie zurecht, um ihnen gute Manieren und die nötige Gottesfurcht einzuschärfen. Die Töchter wuchsen in der Überzeugung auf, dass es ihre Aufgabe sei, sich um das Haus zu kümmern und sich gegenseitig zu umsorgen. Das war es, was sie ihr Leben lang taten - abgeschottet von der Aussenwelt: Mit den Leuten von Poschiavo hatten sie keinerlei Kontakt, nur mit Verwandten in Australien pflegten sie einen intensiven Briefwechsel.

Teil 2: Eine aufschlussreiche Brieffreundschaft.

Im Jahr 1990 mussten die noch lebenden Schwestern schweren Herzens in ein Altersheim ziehen. Es fiel ihnen schwer, obwohl sie jahrelang unter äusserst bescheidenen Verhältnissen in der Casa Tomé lebten. Beinahe als mittelalterlich könnte man ihren Lebensstil heute betiteln: Heizung und sanitäre Einrichtungen fehlen, Isolation gibt es keine. Lediglich eine Kaltwasser-Leitung in der Küche, ein Elektroherd und Licht im Stall sind installiert. Die Bescheidenheit und Sparsamkeit macht sich überall im Haus bemerkbar.

Teil 3: So einfach war das Leben im Haus.
In der Casa Tomé gab es nur eine Kelle, die beinahe bis zum Stiel abgenutzt wurde.
In der Casa Tomé gab es nur eine Kelle, die beinahe bis zum Stiel abgenutzt wurde.
Schüsseln wurden aus Geldmangel nicht ersetzt, sondern repariert.
Schüsseln wurden aus Geldmangel nicht ersetzt, sondern repariert.

Nicht schlecht staunt man zudem, wenn man die Küche der Casa Tomé betritt, weil die Wände kohlrabenschwarz sind. Sie wurden nicht schwarz angemalt. Die offene Feuerstelle ist der Grund für die dunkle Farbe. In jedem Haus wurde früher selbst Brot gebacken. Und auch heute ist der Ofen noch in Betrieb.

Teil 4: Die Küche der Casa Tomé.
Ringbrote hangen in der Luft an Stäben.
Ringbrote hangen in der Luft an Stäben.

Von der «heissen» Küche ins Schlafzimmer, wo jeweils Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschten. Im Sommer war dies noch angenehm - im Winter so gar nicht. Um sich zu wärmen, lebte man deshalb mit den Tieren zusammen. Der Stahl befand sich deshalb unter der Küche.

Teil 5: Der Kühlschrank ... äääh das Schlafzimmer.
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