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Künstliche Hochwasser hauchen Wildbach Spöl neues Leben ein

Wie sich Stromproduktion und Ökologie vereinen lassen, demonstriert ein Projekt am Wildbach Spöl im Schweizer Nationalpark. Seit der Bach unterhalb des Livigno-Staudamms sporadisch künstlich geflutet wird, sind die typischen alpinen Lebewesen wieder zurückgekehrt.

Südostschweiz
22.06.12 - 13:00 Uhr

Dübendorf. – Mit dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomkraft sei der Druck auf die Restwasserbestimmungen des Bundes gewachsen, schreibt die Eawag in ihrem Newsletter vom Freitag. Kantone und Kraftwerke möchten möglichst viel Wasser zur Stromproduktion nutzen und unterhalb von Staudämmen entsprechend wenig in den Bächen belassen.

Eine seit zwölf Jahren laufende Studie der Wasserforschungsanstalt des ETH-Bereichs Eawag am Wildbach Spöl im Nationalpark zeigt, dass es möglich ist, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Es sollte erforscht werden, ob und wie jährliche künstliche Flutungen die natürliche Flussdynamik und Lebensgemeinschaften wieder herstellen können.

Voraussetzung war, dass dieses Regime die Stromproduktion nicht untragbar einschränkt, also übers Jahr hinweg nicht mehr Wasser abgelassen wird als vorher.

Rinnsal statt Wildbach

Der Bau des Livigno-Staudamms im Jahr 1970 hatte verheerende Folgen für den einstigen Wildbach gehabt. Vor dem Bau der Staumauer betrug der Abfluss des Spöls zwischen sechs und zwölf Kubikmetern pro Sekunde (m3/s) mit Spitzen bis zu 120 m3/s. Danach war es noch ein Bruchteil davon, nämlich 0,55 bis maximal 2,47 m3/s.

Als Folge verdichtete sich das Flussbett, weil Feinmaterial nicht mehr ausgespült wurde. Anstelle von angepassten Bergbach-Spezialisten wurde der Spöl mit Allerweltsorganismen besiedelt, die auch im Flachland und im ruhigen Wasser vorkommen. Im Jahr 2011 verfügte das Bundesamt für Energie etwas höhere ständige Restwassermengen, nämlich 0,55 m3/s im Winter und 1,45 m3/s im Sommer.

Kostenneutrales Wassermanagement

Seit dem Jahr 2000 wird nun die konstante Restwassermenge im Rahmen der Studie ein- bis dreimal pro Jahr für einige Stunden bis Tage durch künstliche Flutungen unterbrochen. Dafür darf das Kraftwerk während des Sommers etwas weniger Wasser ablassen, da höhere Restwassermengen zu der Zeit ökologisch nutzlos seien, wie die Eawag schreibt. Somit sei das neue Abflussregime kostenneutral.

Die Eawag-Forscher nahmen im Jahr vor den experimentellen Fluten sowie in den Folgejahren Proben der Lebewesen. Sie untersuchten die Zahl der Arten und Individuen und wie stark sie vom Wasser mitgerissen wurden. Heute herrschen im Spöl unterhalb der Livigno-Staumauer wieder Lebensbedingungen und eine Artzusammensetzung, die für Flüsse der Region typisch sind, wie Michael Doering von der Eawag erklärte.

Wieder typisch für Gebirgsbach

Zum Beispiel dominierten vor den Flutungen die grossgewachsenen Bachflohkrebschen, die an langsamer fliessende Gewässer angepasst sind. Die Flutungen spülten diese weg, was alpinen Spezialisten wie kleinwüchsigen Eintags- oder Steinfliegen wieder eine Chance gab, sich anzusiedeln. Ausserdem hat sich die Zahl der Laichgruben von Bachforellen seit 2000 fast verdreifacht.

Laut der Eawag ist der Spöl ein Beispiel dafür, dass sich ökologische und ökonomische Interessen vereinbaren lassen. Das für die Flutungen abgelassene Wasser kann in andere Staueinrichtungen umgeleitet werden und lässt sich dort praktisch kostenneutral zur Stromproduktion nutzen. (sda)

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